Meryl Streep, Jurypräsidentin der Berlinale 2016, befand: »Ein notwendiger Film!« Wie er Kunst und politische Einsichten miteinander verbinde, sei eines Goldenen Bären wert, der erste für einen Dokfilm überhaupt. Eine Annäherung an Lampedusa, Außenposten der Festung Europa im Mittelmeer, Anlaufpunkt für so viele Glück-, Schutz- und Asylsuchende. In 20 Jahren sind 400.000 Flüchtlinge hier an Land – und 15.000 davor ums Leben gekommen. 2016 war das bislang tödlichste Jahr. Lampedusa ist Hoffnungs- und Schreckensinsel, beides zugleich. Lampedusa ist Auffanglager und Heimat für 6.000 Menschen, beides zugleich. Zwei Welten auf engstem Raum. Wir sehen erschreckende, zum Teil die Schmerzgrenze überschreitende Bilder mit anonymen Flüchtlingen. Im Gegensatz dazu erleben wir den Insel-Alltag aus der Perspektive des 12-jährigen Samuele. Er möchte Fischer werden, sieht aber nicht gut, hat »ein träges Auge«. Er muss üben, hin- und nicht wegzusehen. Wie wir.
Fotos: Weltkino Filmverleih, Feldafing
»Schon der Titel soll erhellen: Seefeuer, das ist das Licht der Leuchtraketen, die die Rettungskräfte auf der Suche nach Überlebenden untergegangener Schiffe abschießen. Denn Leuchtpunkte will auch Rosi mit seinem Film in der aktuellen Debatte setzen, das Schicksal der Bootsinsassen soll nicht vergessen werden, ›Fuocoammare‹ soll dazu beitragen.«
Jürgen Kiontke, Amnesty Journal, Berlin
»Eine eindrucksvolle Dokumentation, die ihre Bilder sprechen lässt und keine Agenda verbalisiert. Wer die Augen geöffnet bekommen möchte, was sich im Süden Europas an menschlichen Tragödien abspielt und womit speziell die italienischen Behörden, Institutionen und Menschen konfrontiert sind, während im Rest Europas von Quoten, Begrenzungen, Zäunen und Grenzen schwadroniert wird, findet hier den richtigen Film.«
Ralf Augsburg, spielfilm.de
»Dies ist ein künstlerischer, radikaler Film. Eine kluge, einfühlsame, stellenweise witzige, dann wieder auch bittere Betrachtung Europas und der Ohnmacht und Unfähigkeit der Reichen, mit der Herausforderung durch die Flüchtlinge aus dem Süden angemessen umzugehen. Von manchen, vor allem Älteren wurde Rosi bei der Berlinale trotzdem Voyeurismus vorgehalten – im Bildmedium Kino ist das sowieso ein merkwürdiger Vorwurf. Rosi zeigt Leichen und Sterbende, und natürlich können diese nicht mehr gefragt werden, ob sie gefilmt werden wollen. Aber Kino hat prinzipiell etwas mit Zeigen zu tun, nicht mit Wegschauen.«
Rüdiger Suchsland, artechock.de, München
»Verknüpft … nur scheinbar Banales mit aktueller Weltpolitik und erreicht gerade durch diese Kombination eine Wirkkraft, die vielen zwar gut gemeinten, aber nicht gut gemachten Filmen über Flucht und Migration gänzlich abgeht.«
Joachim Kurz, kino-zeit.de
»Ohne belehrenden Kommentar wirken die Bilder für sich, auch auf dramatisierende Musik verzichtet der Regisseur. Die Gegenüberstellung an sich harmloser Alltagsverrichtungen der Inselbewohner mit dem Alltagsdrama der Flüchtlinge auf See wirkt nachhaltig und braucht keine künstliche Verstärkung der Dramaturgie. Wer die humanistischen und humanitären Grundlagen in seinem Inneren mit sich trägt, versteht auch so. Filmguckern ohne menschenfreundliche Gesinnung hilft auch keine plakative Inszenierung.«
Volker Schönenberger, Die Nacht der lebenden Texte, Hamburg
»Das Besondere an dieser Dokumentation, die sich wie ein Spielfilm anfühlt: Sie enthält sich jedes Kommentars. In der Lakonie der Erzählweise, die die Bilder und Geschichten für sich selbst sprechen lässt, gleicht sie der rauen Landschaft, in der sie sozusagen nüchtern schwelgt. Es gibt eine Poesie der Bilder, eine Art stoisch-melancholische Schönheit, die sich ihrem schrecklichen Gegenstand stets unterordnet. Rosis Blick mag nüchtern sein, er ist aber auch liebevoll.«
Jan Küveler, Die Welt, Berlin
»Vertraut man dem Regisseur aber so weit, dass man seine Fundstücke als Belohnung für einen besonders geduldigen Blick begreift, werden diese Bilder zur größten Stärke des Films. Denn so kann das dokumentarische Kino sich gegen die Hysterie der schnellen Nachrichtenbilder und Handyvideos behaupten, besonders in Zeiten von Terror und Amokläufern. ›Seefeuer‹ dokumentiert nicht nur das Leid der Flüchtlinge – der kunstvolle Blick des Regisseurs, der nicht nur das Spektakuläre sucht, wird zur Aufforderung, selbst genauer hinzusehen.«
Martina Knoben, Süddeutsche Zeitung
»Aus dem hässlichen Konflikt zwischen ausgewähltem individuellen Benennen und einer großen kollektiver Namenlosigkeit, zwischen banalem Alltag und alltäglicher Katastrophe, aber auch aus dem Konflikt zwischen ästhetischer Bildgebung und aktuellem Gegenstand etabliert Rosi ohne jede Skandalisierung eine unbequeme Wahrheit: Dass Leben angesichts größter Dramen parallel verlaufen kann, in stetiger Nähe, ohne davon berührt zu sein.«
Anke Westphal, Berliner Zeitung
»Rosis Ansatz ist weit entfernt vom journalistischen Fernsehdokumentarismus. Er ist ein Filmemacher, der nichtfiktionalen Film dezidiert für die große Leinwand ›inszeniert‹. Das kann bisweilen durchaus wörtlich genommen werden.«
Sven von Reden, film-dienst, Bonn
»›Seefeuer‹ hat das Potential, den Zuschauer in Kontakt mit einem Leiden zu bringen, dessen mediale Präsenz gegenwärtig wieder abnimmt. Bleibt zu hoffen, dass die Zuschauer es nicht dabei bewenden lassen, sich von ihrer eigenen Empathiefähigkeit berauschen zu lassen. Die Frage muss lauten: Welche Instanzen sind dafür verantwortlich, dass die Flüchtlinge, die auf dem Mittelmeer gestorben sind, nicht einfach in ein Flugzeug nach Europa steigen durften?«
Benjamin Moldenhauer, Jungle World, Berlin
»40 Leichen, er zeigt sie mit gebotener Distanz. Und die Überlebenden: zu Tode erschöpfte Menschen, zuckende Leiber später auf dem Rettungsschiffsdeck, wie Fische im Netz. Die stille Wucht dieser Szenen straft jede Doku-Ästhetik Lügen. Sie erinnern daran, dass die allermeisten von denen, die in diesen Tagen als Amok- oder Terrortäter in den Schlagzeilen auftauchen, Opfer sind, elende Opfer. Und sie brennen sich ein wie die Ikonografie des titelgebenden Seefeuer-Lieds, das von Brandwaffen auf dem Meer kündet, damals im Krieg. Ein Feuer, das nicht gelöscht werden konnte.«
Christiane Peitz, Die Zeit, Hamburg