Der 14-jährige Stefan muss von einer Dorf-Idylle nach Berlin umziehen, wo sein Vater auf dem Bau arbeitet. In der Marzahner Platte hat die Familie zwar Fahrstuhl und Fernwärme, der Blick aus den Fenstern aber offenbart eine trostlose Gegend. Stefan lernt zwei Mädchen kennen, die um ihn werben, denen es weniger um seine Zuneigung, sondern mehr um ihr Gruppenprestige geht.
Er erlebt vielbeschäftigte Eltern, schwache Lehrer und einen despotischen Hausmeister. Im veschüchterten Hubert findet er einen Freund. Der hinterhältig-brutale ›Windjacke‹, der Hubert demütigt und erpresst, wird ihm zum Feind. Die Spannung zwischen beiden wächst. Sie eskaliert in einem halbfertigen Hochhausbau, wird in schwindelnder Höhe über dem Fahrstuhlschacht zum Kampf auf Leben und Tod. Das Wohnungsbauprogramm der Partei zeigte hier seine Schattenseiten.
Die Platte gibt es noch, die Probleme auch. Eine explosive Geschichte, ein weitsichtiger Film.
Fotos: DEFA-Stiftung/Waltraut Pathenheimer
»Ein Film über die Jugend und für die Jugend, und dafür ist auch der richtige Stil gefunden. Mit einer Sicht auf die Welt, wie sie eben Jugendliche haben. Mit realistisch genauen Beobachtungen aus ihrer Lebenssphäre und mit phantasievollen Überhöhungen, mit ihren Liedern und ihrer Musik (Peter Gotthardt) und mit einem Grundton ihrer Aufsässigkeit und mit ihrem Blick auf die Erwachsenen. Vielleicht gehört dazu sogar die krasse dramatische Zuspitzung, daß es am Ende, anders als in der literarischen Vorlage, fast zu einem tödlichen Stürz in einen offenen Fahrstuhlschacht kommt, mit Rettung im allerletzten Moment — ein grelles Warn-, aber auch Hoffnungssignal.«
Helmut Ullrich, Neue Zeit, Ost-Berlin (1983)
»Da sich nicht übersehen läßt, daß dieser Film in einem Neubaugebiet unserer Hauptstadt angesiedelt ist, stellt sich die Frage, was mit dem Strickmuster bürgerlichen Kinos an sozialistischer Wirklichkeit erhellt werden sollte […] Wieviel Ahnungslosigkeit oder Borniertheit gehört z.B. dazu, einen Film um Jugendliche zu machen und dabei jene Leistung, die gerade von ungezählten jungen Menschen mit vollbracht worden ist, moderne neue Wohnviertel, als eine furchterregende und niederdrückende ›Betonwelt‹ abzuwerten […] Positive, sympathische und hilfreiche Gestalten des Buches von Pludra sind in dem Film dem Kahlschlag gegen die typischen sozialistischen Züge unseres Lebens zum Opfer gefallen. So wurde aus der möglichen Identifikationsfigur des Jungen Stefan ein Außenseiter in einer ›kaputten‹ , unwirklichen, kinderfeindlichen Welt. Einer Welt, die nicht die unsere ist.«
Horst Knietzsch, Neues Deutschland, Ost-Berlin (1983)
»Der Film läuft weiter in der DDR - und hat Kontroversen provoziert: Das SED-Zentralorgan ›Neues Deutschland‹ nannte ihn einen ›Kahlschlag gegen die typischen sozialistischen Züge unseres Lebens‹. Die Ost-Berliner Zeitung ›Der Morgen‹ dagegen war voll des Lobes für die ›Insel der Schwäne‹. Bei einer Vorführung in Leipzig spalteten sich die Besucher des FDJ-Clubs in zwei Lager. Die einen fanden ›alles untertrieben‹, denn es sei ›ja wohl noch viel schlimmer in solchen Vierteln‹. Die anderen bezichtigten den Film der Einseitigkeit. In mehreren DDR-Zeitungen erschienen, einen Monat nach Anlaufen des Films, wie auf Bestellung ganzseitige Reportagen über die Vorzüge des Wohnens in Neubauvierteln. Das FDJ-Blatt ›Junge Welt‹ druckte ein Dutzend Leserbriefe ab. Tenor: ›Der Film wirft mit Betonbatzen nach uns! Warum erfindet die Defa eine kaputte Welt? Neubauwohnungen sind doch prima! Man muß doch über alles sprechen, nicht Plakate malen oder irgend etwas kaputtmachen. Wohin soll denn das führen?«
Peter Wensierski, Wolfgang Büscher, Der Spiegel, Hamburg (1983)
»Wie sich dieser Stefan in der Stadt behauptet, ohne sich anzupassen, wie er mit einem neuen schwierigen Lebensabschnitt fertig wird, das zeigt der Film auf eine sympathisch zurück-haltende, still charakteristische Weise, die auch die schnelle, spannende Aktion einzufügen versteht. Herrmann Zschoches Fähigkeit der genauen Alltagsbeobachtung und -bewertung, Günter Jaeuthes unauffällig eingesetzte Kamera, die den Neubaubereich in seiner Unfertigkeit und seinen Möglichkeiten entdecken hilft, bewähren sich erneut eindringlich in diesem DEFA-Streifen. […] ›Insel der Schwäne‹ ist ein herausragender DEFA-Film von sorgsamer Machart und intensiv ansprechenden Vorgängen nach einer qualitätsvollen Romanvorlage.«
Hans Braunseis, Der Morgen, Ost-Berlin (1983)
»Hier bleibt der Eindruck: Mut und Moral junger Helden finden sich auf der Schattenseite unserer Wirklichkeit. Damit geht es nicht mehr um gelungene oder misslungene Filmepisoden, sondern um den Grundansatz. Reizen das Spektakuläre und der Sonderfall bei Filmen über unsere Jugend mehr als die Dialektik von Alltag und Weltbewegendem? […] Kunst lebt von Konflikten. Aber hat sie dort, wo sie die Pflicht spürt, auf Schatten zu zeigen, das Recht, deswegen die Lichter zu löschen?«
Hans Eggert, Junge Welt, Ost-Berlin (1983)
»Der Bund der Architekten intervenierte ebenfalls, da man die eigene Tätigkeit ins falsche Licht gerückt sah. Alle diese Maßnahmen bewirkten, dass der Film nur begrenzt zum Einsatz kam und ihm die öffentliche Anerkennung verweigert wurde. Während des Nationalen Spielfilmfestivals wurde er bei den Auszeichnungen nicht berücksichtigt. »Insel der Schwäne« hätte die Chance geboten, eine intensive und konstruktive Diskussion über gesellschaftliche Entwicklungen in der DDR anzuregen. Viele Menschen und insbesondere die Jugend fühlten sich angesprochen und berührt von diesem Film.«
Dagmar Schittly. Zwischen Regie und Regime: die Filmpolitik der SED im Spiegel der DEFA-Produktionen. Berlin 2002
»In letzter Zeit konnte Ulrich Plenzdorf nicht allzuviel dazu tun, den erworbenen Ruf zu festigen. Einiges geriet gleichsam schon in die Legende. Nun mit ›Insel der Schwäne‹ eine Wiederkunft auf der Leinwand. Ich hätte dieser Adaption eines Benno Pludra-Stoffes einen erneuten Erfolg wahrlich gewünscht, das Resultat stimmt eher verdrossen. Einzelne Partikel der Realität wie an einer Perlenkette aufgefädelt, die einzelnen Motive zu eintönig komponiert. Das Eingangsmotiv der Insel der Schwäne, Symbol der verlorenen Kindheit oder der zurückgelassenen Unschuld und Reinheit, ist nach fünf Minuten erschöpft. Vieles bleibt plakativer Hinweis auf Bekanntes: Unverständnis der Erwachsenen, die Sehnsucht nach ›kleinen Wiesen im Beton‹.«
Fred Gehler, Sonntag, Ost-Berlin (1983)
»Der Film spitzt die Geschichte des 14jährigen kräftig zu, mitunter sogar reißerisch. Er spielt die Dramatik des unbeschönigt vorge-führten Geschehens voll aus, stets spürbar darauf bedacht, die noch unfertige Psyche, das recht kantenreiche Innenleben Stefans und seiner Gefährten dem beteiligten Zuschauer zu erschließen. Aber da ist auch - wie stets bei Zschoche - Poesie im Bild, sind das neue wie das alte Berlin, vor allem aber junge Menschen in ihrem Werden und Wachsen erfaßt und geschildert […] Nicht immer ge-lingt es, das rechte, der ereignisreichen Geschichte innewohnende Maß zu finden und zu wahren […] Dennoch: ›Insel der Schwäne‹ ist ein bedenkenswerter Film über junge Leute mitten unter uns. Und beileibe nicht nur für sie.«
Hans-Dieter Tok, Wochenpost, Ost-Berlin (1983)
»Stefan ist der grundgute Anführer, personifizierter Protest gegen Einbetonierung und Grenzziehungen der Erwachsenen. Der im Western-Stil inszenierte kinderfreundliche Film stieß wie etwa zur gleichen Zeit Helmut Dziubas Film ›Erscheinen Pflicht‹ auf heftigsten Widerspruch der offiziösen Kritik und sollte zum letzten DEFA-Film werden, der durch den Vertrieb eher versteckt als gefördert wurde.« Manfred Behn: Ulrich Plenzdorf. In: Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, 1991.
»Am Beispiel des Films ›Insel der Schwäne‹ läßt sich auch eine Erklärung finden, warum Lehrerfiguren gegenüber den früheren Filmen immer stärker zu Randfiguren geworden sind. Obwohl die Protagonisten weitgehend innerhalb der Schule agieren, bleibt die Lehrerin eine blasse, hilflose Figur, und nur in einer kurzen Szene tritt der Schuldirektor auf den Plan, bezeichnenderweise, um für ein ›Vergehen‹ außerhalb der Schule einen schulischen Tadel zu verfügen. Andere Akteure haben an Bedeutung gewonnen […] Auch mit dieser Wahrnehmung veränderter Kontroll- und Überwachungsmechanismen erweist sich der Spielfilm als ein Seismograph gesellschaftlicher Veränderungen in der DDR.«
Petra Gruner. Professor Unrat im Sozialismus und seine unein-sichtigen Schüler. Schule und Erziehung im Spielfilm der DDR. Berlin 2002
»Im Jahr darauf (1984) wurde ›Insel der Schwäne‹ von Herrmann Zschoche gegen den Wunsch aller Beteiligten nicht auf das Berlinale-Programm gesetzt. Dies nun wieder war Ausdruck der Gegenwartsfurcht, denn hier wird einigermaßen ernüchternd die Situation der Jugendlichen geschildert. Und es wird nicht einmal mehr verschwiegen, wie verbreitet das Begehren nach dem West-geld ist, dass das schönste am Blick aus einem Plattenhochhaus der westberliner Fernsehturm ist, dass die Partei, die einst noch die ›Asozialen‹ aufzufangen bereit schien, sich nicht mehr um Menschen sondern nur noch um sich selbst kümmert. Allgegenwärtig ist die Macht des ewigen Spießers (wie dem Hausmeister), und die urbanisierte DDR ist endgültig unbewohnbar geworden. Die Kinder können den Aufstand nur wagen.«
Georg Seeßlen. In: Zwischen uns die Mauer. DEFA-Filme auf der Berlinale. Berlin 2010.
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Aussagen junger DDR-Bürger, die vom Leipziger Zentralinstitut für Jugendforschung 1983 in einer empirischen Studie über den Film erhoben wurden, zitiert nach: Dieter Wiedemann. Zentralinstitut für Jugendforschung (ZIJ) (Ed.): KINO 83: der Film ›Insel der Schwäne‹ und sein Publikum. Leipzig, 1983.
»Für mich stellt sich die Frage, was wir Kindern für eine Chance geben, phantasievolle, gefühlvolle Menschen zu werden, wenn sie in der gezeigten Umwelt aufwachsen müssen.«
»Ein Krebsschaden aller Neubaugebiete soll gezeigt werden – die Vermenschlichung unserer selbst, erst einmal in die Enge und Anonymität getrieben, die die Menschen hart im Umgang mit-einander macht und keinem den nötigen Raum zur Entfaltung bietet.«
»Der Film stellt zugleich eine Anklage dar gegen eine zunehmend schlechtere Lebensqualität; der Mensch muß im Beton fertig werden, aber was in seiner Seele abläuft, findet viel zu wenig Beachtung.«
»In Neubaugebieten bequem wohnen, aber schlecht leben.«
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Aktuelle Stimmen zum Film von DVD-Käufern unter:
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