»Es dauert so lange, bis man ernstgenommen wird.« Als Marina Abramović 2010 vom New Yorker MOMA mit einer Retrospektive ihres Werks geehrt wird, hat die 1946 in Belgrad geborene Serbin den Höhepunkt ihres künstlerischen Schaffens erreicht. Radikal, schockierend, provozierend: Marina Abramović ist über Jahrzehnte hinweg nicht müde geworden, sich selbst und den Kunstbetrieb stets aufs Neue herauszufordern und in einzigartiger Weise darauf hinzuwirken, dass Performance als Kunst anerkannt wird. In ihren Performances geht es um Bewusstseinszustände, um einen emotio-nalen Dialog mit dem Publikum. 750.000 Menschen durften im MOMA sehen, was das heißt. Von Anfang März bis Ende Mai lud im Atrium des Museums ein absolut reduziertes Arrangement zur absolut intensivierten Begegnung mit der Künstlerin ein: Marina Abramović, regungslos und schweigend auf einem Stuhl sitzend. Ihr gegenüber, auf einem zweiten Stuhl, nehmen permanent wechselnde Ausstellungsbesucher Platz. Anfangs steht zwischen beiden Personen noch ein Tisch, später ist auch der beiseite geräumt.
Sechs Tage in der Woche, siebeneinhalb Stunden lang:
»The Artist Is Present«.
Der Film – er zeigt auch die in den oberen MOMA-Etagen zu sehenden Nachstellungen früherer Performances – ist weit mehr als die Dokumentation dieser unvergleichlichen, unwiederholbaren Ausstellung. Ihm gelingt es tatsächlich, diesen emotionalen Dialog zwischen Kunstwerk und Betrachter, zwischen Künstlerin und Publikum auch emotional zu fassen. Die Tränen im Film kommen auch dem Zuschauer. Der ergreifendste Moment überhaupt, das Höchste in der Verbindung von Kunst und Realität, vollzieht sich, als Ulay, Marina Abramovićs langjähriger Kunst- und Lebenspartner, auf dem MOMA-Stuhl Platz nimmt. Die Gefühle in diesem Bild sind überwältigend!
»Aber warum ist das Kunst?« Wer diesen Film gesehen hat, weiß auch die Frage zu beantworten.
Fotos: © NFP - marketing & distribution
»Mit ihrer warmen, charmanten Art erklärt Marina Abramovic in diesem Film, dass es sie dreimal gäbe: die verletzliche Marina, die von ihren Eltern zu wenig Liebe bekommen habe; die starke Marina, die sich durchschlagen kann; und dann die spirituelle Marina, die zwischen den anderen beiden navigiert. Matthew Akers' Porträt der extremen Performance-Künstlerin zeigt aber noch eine vierte Marina, vielleicht die wichtigste: Marina Abramovic, das ist zunächst die schiere Anwesenheit ihres Körpers.«
Philipp Stadelmaier, Süddeutsche Zeitung, München
»Akers Film ist weit mehr als bloß ein Künstlerporträt, wenn er sich lose rund um die MOMA-Ausstellung aufbaut. Er begleitet deren Entstehung. Beobachtet Marina Abramovic in Diskussionen mit Assistenten und Kuratoren sowie bei den Vorbereitungen mit den jungen Künstlern, die während der Ausstellung ihre früheren Aktionen nachspielen […] Vor dieser Künstlerin, ihrem Charisma und ihrer Kraft kann, muss und darf man einige Filmminuten lang einfach nur den Hut ziehen.« Irene Genhart, film-dienst, Bonn
»Matthew Akers Film beobachtet eine Wallfahrtskunst, die so wunderbar und so tief berührend im Kinobild aufgeht, wohl weil beide aus Projektionen gemacht sind. Aus der Lust am Sehen und Angesehenwerden, aus der Euphorie, im Blick des anderen alles werden zu können. Abramovics Präsenz und Akers Bilder, auch das ist eine Liebesgeschichte zwischen einer Aufmerksamkeits-bedürftigen und der Welt, die sie beachtet […] Eine Kunst, die vor keiner Anstrengung, keiner Zumutung und auch vor dem Kitsch nicht zurückscheut. Eine Kunst der Empathie.« Birgit Glombitza, epd film, Frankfurt/Main
»Die Performancekunst ist im Kanon der Museen angekommen, aber es hat viel Kraft gekostet. Jahrzehntelang hat Abramović auf allen Kontinenten und mit vollem Körpereinsatz für ihre Kunst gekämpft, hat sich selbst gegeißelt und mehrfach sogar ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Von alldem erzählt der Dokumentarfilm.« Tobias Timm, Die Zeit, Hamburg
»Der Film nimmt sich viel Zeit, auch den Gästen des schweigenden Orakels in die Augen zu schauen. Abramović greift, vom Publikum oft unbemerkt, auf unsere religiösen Assoziationen zurück, harrt madonnenhaft aus, weint die blutigen Tränen. Eine junge Frau hat sechzehn Stunden gewartet, bis sie ihr endlich gegenüber sitzt. Plötzlich zieht sie ihr Kleid aus, ist nackt. Sie wird sofort weggeführt, bricht in Wehklagen und Weinen aus, sagt, sie habe nicht gewusst, dass die eigene Performance, sich selbst einzubringen, verboten sei. Das Publikum muss sich benehmen.«
Swantje Karich, Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Vielleicht ist es entgegen vieler Stimmen der Kunstwelt nicht so sehr das kritische Moment der Wiederholung von Performances, sondern die Performativität und der Dialog miteinander, auf die Abramovic uns im Film hinweist, und dem wir im Leben doch nicht entkommen können.«
Philipp Fernandes do Brito, Schnitt – Das Filmmagazin, Köln
»Bei der Performance geht es darum, den direkten und unmittelbaren Kontakt mit dem Publikum, das Sprengen der Grenzen zwischen Performer und Zuschauer zu erreichen. Die Unmittelbarkeit des Geschehens, die schockierende Wirkung der Körperkunst soll den Betrachter emotional angreifen, ihn aufschrecken. Es liegt daher auf der Hand, dass das Wort ›Unmittelbarkeit‹ mit dem Medium des Dokumentarfilms, der die Performance in Form einer Videoaufzeichnung ja wortwörtlich ›übermittelt‹, nicht viel zu tun haben kann.« Peter Steger, artechock.de, München
»Mr. Akers has performed a valuable service for both the artist and the public in presenting a persuasive answer to the question that still plagues art that creates events and experiences rather than paintings and sculptures: Is it really art at all? Ms. Abramovic offers eloquent testimony, but a stronger case is made by the rapt and tearful faces of the museumgoers who sat facing her in Manhattan two years ago. The film’s message can be summed up in a familiar phrase: You had to be there.« A.O. Scott, The New York Times