»Du wirst dir nicht wegen so was deine Zukunft versauen«, herrscht der Vater seinen Sohn an. »So was«, das ist eine Aufsehen erregende kollektive Schweigeminute im Geschichtsunterricht. 1956, in Eisenhüttenstadt, das sich damals noch stolz »Stalinstadt« nannte. Die Abiturienten einer Klasse wollen mit ihrem stillen Protest der im Ungarn-Aufstand gegen die Russen gefallenen Genossen gedenken. Im Arbeiter- und Bauernstaat keine Provokation, über die zu diskutieren wäre, sondern ein konterrevolutionärer Akt, den es zu enttarnen gilt. Die Kreisschulrätin will in Einzelverhören zunächst nur »einen Namen« hören, aber der alarmierte Volksbildungsminister redet beim Appell dann diktatorischen Klartext: Entweder werden binnen einer Woche die »Rädelsführer« ausgeliefert oder die gesamte Klasse wird vom Abitur in der ganzen Republik ausgeschlossen. Ein klarer Aufruf zur Denunziation, zur Demütigung, zum Verrat – im Dienste und zum Wohle der sozialistischen Sache. Ein Riss geht durch die Schule, die Stadt, die Familien. Vergangenes und Verdrängtes kommt zutage und fordert Entscheidungen. Noch steht die Mauer nicht, noch gibt es einen Ausweg.
Nach einer wahren Geschichte, die sich 1956 in einer 12. Klasse der »Kurt-Steffelbauer-Oberschule« im brandenburgischen Storkow ereignet und die einer der damaligen Abiturienten 50 Jahre später aufgeschrieben hat. Ein starkes Plädoyer für Wahrheit, Ehrlichkeit, Zivilcourage – einst und heute.
Fotos: StudioCanal/Julia Terjung
Das Buch zum Film
Dietrich Garstka. Das schweigende Klassenzimmer
Taschenbuch, Klappenbroschur, 272 Seiten,
Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
ISBN 9783548377599, 12,00 €
»Das wahre Leben schreibt immer noch die spannendsten Geschichten: Schon mit dem packenden Polit-Thriller ›Der Staat gegen Fritz Bauer‹ bewies Lars Kraume seine beeindruckenden Fähigkeiten, wahre Begebenheiten im Nachkriegsdeutschland mitreißend und intensiv zu verfilmen. Das gelingt ihm mit ›Das schweigende Klassenzimmer‹ nun erneut meisterhaft. Man kann sich dem Sog, den dieser Film entwickelt, nur schwer entziehen. Das liegt nicht zuletzt an der Art und Weise wie Kraume von den Ereignissen im Herbst 1956 erzählt. Denn er betrachtet hier stets alle Seiten sowie Sichtweisen und schlägt sich nicht immer ganz eindeutig auf die Seiten der schweigenden Schüler, was ein Leichtes gewesen wäre.« Björn Schneider, spielfilm.de, Nierstein
»Es ist viel von Wahrheit die Rede, von Notlügen und den Strukturen der Macht und doch ist ›Das schweigende Klassenzimmer‹ nie aufgesetzt und didaktisch. Ja, es ist ein moralischer Film, ja, er dürfte bald fester Teil des Ethik- und Geschichts-Unterrichts deutscher Gymnasien werden […] Rührselig und sentimental hätte ›Das schweigende Klassenzimmer‹ werden können, doch dank Kraumes mitreißender, souveräner Inszenierung ist es ein berührender, emotionaler, auch kluger Film geworden, eine Geschichtsstunde, aber vor allem wuchtiges Kino.«
Michael Meyns, programmkino.de, Osnabrück
»Besonders gefällt die Figur des von Florian Lukas gespielten Schuldirektors, der gegenüber den von Jördis Triebel und Burghart Klaußner gespielten unerbittlichen Funktionären die menschliche Seite und das Positive der DDR, die soziale Chancengleichheit und Aufstiegsmöglichkeiten für Arbeiter verkörpert und verteidigt. ›Das schweigende Klassenzimmer‹ ist ein guter Film, ein Stück Geschichtskino, Mainstream im besten Sinn des Wortes.«
Rüdiger Suchsland, artechock.de, München
»Denn auch das zeichnet dieses historische Drama aus: Es führt vor Augen, mit welch perfiden Mitteln der Zusammenhalt aufgelöst werden sollte. Der Gedanke der Freundschaft, die als Begrüßung herhält, er bedeutet in erster Linie, Menschen gegeneinander auszuspielen, um selbst an der Macht zu bleiben. Und das macht diese inzwischen über sechzig Jahre alte Geschichte immer noch erschreckend aktuell.«
Oliver Armknecht, film-rezensionen.de, Falkensee
»Hier liegt bei aller Plakativität der Figuren das eigentlich Interessante und sehr Beklemmende dieses Films: darin nämlich, wie er die Frage nach dem historischen Gewordensein stellt, indem er die Gegenwart jener frühen DDR-Jahre, das politisch-idelogische Wollen des ›ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden‹ im individuellen Fall erzählerisch mit der Vergangenheit der autoritären Väter und dem ›Tausendjährigen Reich› verschränkt und dabei Fragen von Integrität, Loyalität und Verrat auf vielen verschiedenen Ebenen, persönlichen wie übergreifend ethischen, durchdekliniert.« Anke Westphal, epd film, Frankfurt/Main
»Kraumes Drama wandelt sich im Verlauf zum Thriller, die Stimmung von jugendlichem Übermut zu bitterem Ernst. Kraumes fein arrangiertes Drehbuch hält einige dramatische Wendungen bereit, um die Spannungsschraube anzuziehen und auch Mitgefühl für die Figuren zu wecken, die nicht besonders sympathisch gezeichnet sind. Anteil am Gelingen dieser packenden Geschichtsstunde, die zeitlose, immer aktuelle Werte propagiert, hat natürlich auch das sorgfältige Kostüm- und Szenenbild.«
Heike Angermaier, blickpunkt film, München
»Der Film zeichnet sehr präzise nach, wie das totalitäre System die Daumenschrauben anlegt. Die Jugendlichen werden nach allen Regeln subversiver Verhörtechniken unter Druck gesetzt, die ›Rädelsführer‹ zu benennen. In einer starken Ensemble-Leistung gibt es keine Schwarz-Weiß-Abziehbilder, sondern klar konturierte Figuren, die mit ihren Dilemmata ringen und einen Ausweg suchen.« Konrad Kögler, daskulturblog.com, Berlin
»Das Etikett ›pädagogisch wertvoll‹ haftet diesem Film unweigerlich an. ›Das schweigende Klassenzimmer‹ passt in jeden Politik-, Geschichts- oder Ethikunterricht. Dennoch wirkt er nicht bloß didaktisch, da die jungen Protagonisten als komplexe Charaktere angelegt sind, als Kinder von Eltern, die das Hitler-Regime und den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben. Es sind eher die erwachsenen Figuren, die etwas schablonenhaft verschiedene Positionen abdecken müssen. Aber selbst beim Volksbildungsminister Lange wird deutlich, woher seine rigorose Haltung rührt. Die jüngste deutsche Vergangenheit steckt allen tief in den Knochen; wie im Westen wird auch im Osten über die schreckliche Zeit beharrlich geschwiegen.« Kirsten Taylor, film-dienst, Bonn
»Lars Kraume bemüht sich nach Kräften, allen historischen Optionen in dieser Situation Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Das bringt allerdings mit sich, dass jede Figur auch so etwas wie eine Position vertritt und dass die Haushalte, aus denen die Schüler stammen, beinahe zu einem DDR-Museum werden. Das ergibt in Verbindung mit der längst üblichen Professionalität der handwerklichen Abteilungen im deutschen Geschichtskino (Ausstattung, Kostüm, alles hat die richtige Patina) einen mustergültigen Film, dem nur eine, allerdings entscheidende, Kleinigkeit fehlt. Kraume vermittelt nicht einmal eine Andeutung davon, wie sich die DDR damals tatsächlich angefühlt haben mag. Dazu müsste man nach wie vor die zeitgenössischen Filme aufsuchen.«
Bert Rebhandl, Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Was ist hier Verrat und was Standhaftigkeit, was ist richtig und was falsch? Der größte Vorzug des Films ist, dass er diese Frage offenlässt. Er hat keine Botschaft, sondern er formuliert ein Problem […] Nie reichte dem kommunistischen Ordnungsentwurf die bloße Unterdrückung der anderen; immer brauchte die Repression auch das bezeugte Einverständnis der Unterworfenen, und darum bot die SED im Dezember 1956 vom Schulleiter bis zum Volksbildungsminister alle ihre Kräfte auf, um das schweigende Klassenzimmer zum Sprechen zu bringen: Sie brauchte das Geständnis ihrer Opfer, weil an dem damit eröffneten Weg zu Reue und Einsicht die Legitimation ihrer Herrschaft hing. Eben dies zeigt Lars Kraumes Film, und darum ist er viel mehr als nur eine Nachinszenierung von DDR-Unrecht.«
Martin Sabrow, zeitgeschichte-online.de, Potsdam
https://zeitgeschichte-online.de/film/das-schweigende-klassenzimmer