»Du wirst schon deinen Weg machen«, sagt der Vater gleichgültig zu seinem Sohn – und prostet beim Abi-Ball stolz auf dessen Zwillingsschwester: »Anna, auf dich, auf deine Zukunft!« Karl hat die Schule geschmissen, ziemlich viel Ärger am Hacken und für die Karriere keinen Plan. Die Schwester dagegen hat die Zulassung einer kanadischen Uni in der Tasche und wird ›International Communication Management‹ studieren. Ihr Bruder ist jetzt schon ein Experte für Kommunikation, allerdings ganz anderer Art: Seit zwei Jahren führt er ein anonymes Blog, »The language of many others«, mit vielen Followern. Im realen Leben treibt Karl vor sich hin, Halt und Orientierung suchend in einer für ihn fragwürdigen, verstörenden Welt. Die Beziehung zur verführerisch-schönen Doro verschafft ihm ein Hoch. Doch als sie ihn abserviert, postet er ein Video, das die beiden beim Sex zeigt. Der Vertrauensbruch ist eklatant, die Familien drehen durch, Karl bräuchte dringend Hilfe. Die bietet ihm einzig seine LOMO-Community, die ihn virtuell zu steuern beginnt, aber an den Rand des Abgrunds führt. Das Digitale ist nicht die Lösung, Karl wird seine Freiheit im Analogen finden müssen.
Die Zeichen der Zeit: aufreizend im wahrsten Sinne des Wortes.
Fotos: farbfilm Verleih, Berlin
»Die Verführbarkeit von Jugendlichen durch virtuelle Parallelwelten und den Reiz scheinbar unverfänglicher Online-Freundschaften problematisiert der Film auf kluge Weise. Je mehr Karl sein Leben entgleitet, desto stärker übernehmen seine Follower die Kontrolle darüber. Mittels einer Minikamera dokumentiert er fortan per Livestream jeden seiner Schritte. Spätestens hier gewinnt ›Lomo‹ eine dystopische Dimension, die virtuellen Geister entwickeln ein fragwürdiges Eigenleben. Der Schwarm handelt nicht intelligent.«
Kaspar Heinrich, Der Tagesspiegel, Berlin
»Am Umgang mit sozialen Medien lassen sich heute Generationskonflikte festmachen, weil die Älteren meist nicht nachvollziehen können, was an all den Posts, Memes und Pranks toll sein soll und wieso die Privatsphäre keinen Wert mehr hat. Darum geht es wohl auch der Regisseurin: um den Verlust von Privatheit und Respekt, um die Frage, wie wir miteinander leben wollen und welche Rolle die Medien dabei spielen. Aber es geht es ihr auch noch um viel mehr, um sprachlose Familien, Entfremdung, Macht und Kontrolle.«
Kirsten Taylor, film-dienst.de, Bonn
»Der Blog mit seinen Followern entwickelt schon bald eine bedrohliche Eigendynamik, die sich zunehmend auf Karls reales Leben auswirkt. Dabei geht es um hochaktuelle Themen wie rechtliche Grenzen und Persönlichkeitsschutz im Internet. Diese Möglichkeiten und Gefahren der Massenkommunikation werden im Film eindrücklich der Sprachlosigkeit eines sich findenden Jugendlichen entgegengestellt. Die Konflikte werden dabei von den Eltern ausgetragen, während Karl im Gegensatz zu seinen Blogaktivitäten in der Realität ziemlich passiv bleibt. Hervorragend verkörpert wird er vom Schauspieler Jonas Dassler, der für seine Rolle mit dem Götz-George-Nachwuchspreis geehrt wurde.«
Meret Mendelin (im Rahmen des ›Watch and Write‹ im Zürcher Filmfestival 2017), zitiert nach: cineman.ch, Zürich
»Immer wieder verwandelt ›Lomo‹ sich für ein paar Sekunden in den Bildschirm eines Tablets oder Smartphones. Dann schieben sich zweite, dritte, vierte Ebenen in und über die Wirklichkeit. Der Bildsprache der digitalen Welt verknüpft sich mit echten Kinobildern – ein Beispiel, dass die klare Grenzziehung zwischen analog-digital, virtuell-real nicht mehr funktioniert. ›Lomo‹ ist ein Film der Fragmente und wird damit der fragmentarischen Welterfahrung seiner Hauptfigur sehr gerecht. Das alles ist virtuos, und so verdankt dieser Film den Einfällen des Kameramanns Michael Grabowski und der Montage sehr viel.«
Rüdiger Suchsland, artechock.de, München
»Die Identifikation zwischen Publikum und Hauptdarsteller läuft sehr stark über die Bilder, die oft etwas Unwirkliches haben und Traumsequenzen sein könnten, wären sie nicht Bestandteile von Karls Online-Existenz. Er macht sich zum Avatar im eigenen Leben und testet dabei sowohl die technischen als auch die menschlichen Grenzen aus. Die Bewertung von Karls Umgang mit Online-Medien wird beim Publikum, je nach Einstellung, unterschiedlich ausfallen. Junge Leute verstehen Karl sicherlich besser als ältere. Seine coole Art, die letztlich zu den Symptomen seiner psychischen Störung gehört, was aber erst zum Ende hin wirklich deutlich wird, lässt ihn dabei möglicherweise noch interessanter wirken.«
Gaby Sikorski, programmkino.de, Osnabrück
»Langhof versteht es, Karls Realität durch inszenatorische Kniffe mit der digitalen Welt zu verschmelzen: Sie nutzt gelegentlich lange Überblendungen oder lässt das Bild grob verpixelt erscheinen. Stimmen, die Kommentare in Karls Blog vorlesen, wachsen zu einem Klangwust an, Handlungsszenen und Videos aus Karls Blog sind zuweilen harsch aneinandergereiht. Diese Regiespielereien reichen aus, um ›LOMO: The Language of Many Others‹ aus dem Wust mahnend artikulierter, deutscher ›Problemfilme‹ herausstechen zu lassen, wagen sich aber nie aus der massentauglichen Komfortzone an Experimentierfreudigkeit hervor.«
Sidney Schering, quotenmeter.de, Würzburg
»Filme, die sich an der Allmacht des Digitalen abarbeiten, enttäuschen oft auf visueller Ebene (man denke an die biedere Adaption des Dave-Eggers-Romans ›The Circle‹). Nicht so der Erstling von Regisseurin Julia Langhof, der es gelingt, Karls Netz-Abhängigkeit mit manch kongenialer Bildfindung zu illustrieren. Der Informatiker und Internet-Kritiker Jaron Lanier hat gerade ein Buch veröffentlicht: ›Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst.‹ Mit LOMO, entstanden im Rahmen der ›Leuchtstoff‹-Initiative des rbb und des Medienboard, liefert Julia Langhof manch weiteren Grund.«
Matthias von Viereck, zitty, Berlin
»This is a story that isn’t powered by technophilia or technophobia, but that takes these new online arenas — in which teenagers get to make the mistakes they’ve always made but in a more public forum than ever before — as a simple fact in a new world. If it is a kind of techno-morality play it’s a gratifyingly un-preachy one, suggesting that social media is simply another place for tribal teenage anomie to flourish on its painful path to maturity, because after all this time and all this progress, growing up still has no roadmap: You can’t avoid it, you can’t control it and you sure as hell can’t crowdsource it.«
Jessica Kiang, Variety, Los Angeles