»Ich bin Arbeiter – wer ist mehr?« Dieses DDR-Plakat und der selbstbewusste Spruch könnten ihm gefallen haben, als Baggerfahrer im Lausitzer Tagebau. Aber wahrscheinlich hätte »Gundi« die Propaganda hinter dem Slogan erkannt und das Sein hinter dem Schein zur Sprache gebracht. Was er wollte: Mit der eigenen Hände Arbeit etwas schaffen für die Leute und das Land. Am Abend dann darüber Lieder singen – über Sehnsüchte, Träume, Hoffnungen, über Schwächen und Verluste. ›Springsteen des Ostens‹ ist natürlich Quatsch, im Tagebau nannten sie ihn Grigori Kossonossow. ›Soldat der Revolution› wollte er sein, einer wie Che. Er agitierte, nervte, eckte an. Gundermann war ein Unikat in der Vereinigung von Gegensätzen. Getrieben von seinen Wahrheiten und Überzeugungen, scheinbar linientreu und doch ein Dissident: ein anders Denkender, anders Sprechender, anders Singender. Der Sozialismus war seine Sache, aber die Sache des Sozialismus brauchte keinen wie ihn. Verehrt und geliebt von seinen Fans, denen er nach der Wende offenbart: Ich war IM »Gregori«. Entschuldigen will er sich nicht dafür, am meisten sei er von sich selbst enttäuscht. 1996 macht der Tagebau dicht, zwei Jahre später stirbt Gundermann an einer Hirnblutung.
Ein Anti-Held in all seinen Widersprüchen, grandios gespielt von Alexander Scheer. Dieser Dresen-Film könnte noch viel, viel länger sein!
Fotos: Pandora Film, Aschaffenburg
Das Buch zum Film
Gundermann. Von jedem Tag will ich was haben, was ich nicht vergesse ...
Briefe, Dokumente, Interviews, Erinnerungen
Herausgegeben von Andreas Leusink
Ch. Links Verlag, Berlin 2018, Klappenbroschur, 184 Seiten, 91 Abb.
ISBN: 978-3-96289-011-7, 20,00 Euro
»Dresen ist mit ›Gundermann‹ vielleicht sein wichtigster Film gelungen: Er erklärt die DDR-Geschichte auf eine Weise, die zur Selbsterkenntnis von Ost und West gleichermaßen führen könnte – jenseits aller Rechthaberei. Über jenen Osten, den grauen und hässlichen, den in vielen Dingen rückständigen, der offenbar doch etwas an sich hatte, was die in ihm Aufgewachsenen heute vermissen, trotz all der vielen angenehmen Dinge, die sie nun besitzen, ist lange beharrlich geschwiegen worden […] ›Gundermann‹ ist auch eine Liebeserklärung an den Arbeiter, der einmal etwas anderes war als ein ›Arbeitnehmer‹.«
Gunnar Decker, Neues Deutschland, Berlin
So ist ›Gundermann‹ in gewisser Weise der reife Gegenentwurf zu Florian Henckel zu Donnersmarcks nicht unumstrittenem Oscar-Gewinner ›Das Leben der Anderen› von 2006: nicht verurteilend und nicht simplifizierend, präzise in der Ausstattung, ohne Kulisse zu sein, und mit einer Sicherheit im Ton, die zumindest in Ostdeutschland warme Wiedererkennungswellen durchs Kino schickt. Und gleichzeitig kein Nischenfilm für Ostalgiker, sondern eine komplexe, unbequeme Geschichte über Verrat und Rückgrat, und wie beides zusammengehen kann in einem Leben. Ein Film für Erwachsene.«
Christina Tilmann, Neue Zürcher Zeitung
»Wie sich dieser Mensch zwischen eigener Erinnerung und faktischer Überlieferung, Selbstbild und Fremdwahrnehmung neu verorten muss – das ist dennoch das große Thema dieses Films, der natürlich auch eine Geschichte vom Verdrängen und Sich-Stellen erzählt […] Dresens neuer Film trifft auf eine Gegenwart, die Begriffe wie Ostidentität wieder aktualisiert. Gewiss erscheint Gundermann in seiner komplexen Widersprüchlichkeit heute geradezu als Sinnbild der DDR, in seiner Poesie ebenso wie in der Verbohrtheit – und im Überlebenstrotz.«
Anke Westphal, Der freitag, Berlin
»Dresen ist ein Experte für Emotionalität – seiner Figuren wie seines Publikums. So muss er die Debatte annehmen: Der Film konzentriere sich zu sehr auf die Stasi, werden die einen sagen; er sei zu ostalgisch, versöhnlich, die anderen. Wer den Staat und seine Repressalien nicht erlebt hat, könne die Situation nicht begreifen, werden einige finden; während andere überzeugt sein werden, die DDR durch ihn verstehen zu können. Die einen werden glauben, dass nur FilmemacherInnen aus der DDR sie beschreiben dürfen, und Dresen das zugutehalten; die anderen den sachlichen Abstand vermissen. Vielleicht ist ›Gundermann‹ von jedem etwas. Auf jeden Fall ist er ein Konversationsstarter. Und zwar einer mit Kassengestell.«
Jenny Zylka, taz, Berlin
»Man könnte melancholisch werden über den schmerzenden Zwiespalt des Systems, das allen Chancen gegenüber dem Kapitalismus so enge Grenzen setzte. Doch dazu ist Dresen dann wiederum zu humorvoll. Anders als in manchen früheren Filmen des Regisseurs fehlt alles Forcierte, es gibt nichts emotional Forcierendes und auch keine Sehnsucht nach ordnender Lösung. Gleich zu Beginn thematisiert er Gundermanns Spitzeltätigkeit für die Stasi, andere hätten sich diesen Schatten bis zum Schluss aufgehoben. Dresen lässt seine Figur lieber aus dem Makel heraus lebendig werden, was ein kluger Schachzug ist. Sein Film selbst ist makellos.«
Daniel Kothenschulte, Frankfurter Rundschau
»Gundermann hat aus Überzeugung gespitzelt, wollte den Sozialismus schützen, früher mal Agenten jagen. Später konnte er sich die fiesen Petzereien nicht verzeihen. Aber der Verrat, auch an sich selbst, hätte sich nie zum Lebensthema auswachsen können – in der neuen Ordnung trieben ihn längst existenzielle Fragen um. Er war Antialkoholiker und Vegetarier, der Westen ließ ihn auch zu einem radikalen Ökologen werden, besessen von alternativen Energiekonzepten […] Lebensthemen gab es genug zu Gundermann. Die Filmemacher entschieden sich ausgerechnet für die Stasi-Verstrickung. Es bleibt trotzdem ein liebevoller, packender Film.«
Birgit Walter, Berliner Zeitung
»Es war eine mutige Entscheidung der Filmemacher und auch von Conny Gundermann, dem Tabu-Thema nicht aus dem Weg zu gehen. Im Osten wird man wohl weiter seine Texte lieben, auch wenn ›Held‹ Gundermann Kratzer bekommen hat. Die Frage ist, wie ein Publikum im Westen, das Gundermann meist nicht kennt, darauf reagiert. Ob nicht doch eher die alten Klischees bedient werden? Oder gewinnt auch dort das poetische Werk? Weckt die Ehrlichkeit des Filmes Verständnis für das andere Leben im zerrissenen Land?«
Margit van Ham, Das Blättchen, Berlin
»Dieser Sänger sah in der neuen, fremden Gesellschaft einfach nicht die Instanz, vor der er sich zu rechtfertigen hatte. Er hielt sie für konstitutiv ignorant und naiv, zumal mit ihrer Forderung nach ›Entschuldigung‹. Die IM-Geschichte zieht sich durch den Film, Dresen und Stieler nennen sie auch ›den Reuebogen‹. Und dazu diese tief melancholischen Lieder, es ist ein irrer Kontrast: Gibt es denn melancholische IMs, melancholische Revolutionäre? Gundermann war einer. Aus dieser zerreißenden Spannung lebt der Film.«
Kerstin Decker, Der Tagesspiegel, Berlin
»Die Ambivalenz Gundermanns bietet Anknüpfungspunkte für Debatten um die Stasi und ihre Aufarbeitung, den wirtschaftlichen und politischen Umgang mit der DDR in den Nachwendejahren bis hin zu der Tatsache, dass sich viele Ostdeutsche als Opfer sehen – fremdbestimmt durch Politik und Medien. Der Wunsch Dresens, die BürgerInnen der ehemaligen DDR mögen die Deutungshoheit über ihre Biographien wieder erlangen, ist legitim und bietet tatsächlich die Chance, noch einmal neu auf das Kapitel DDR und auf die Nachwendezeit zu blicken. Gundermanns Scheitern bietet dafür genügend Spielraum. Dresens Verdienst ist es, gelebte Widersprüche zu Tage zu fördern. Die Widersprüchlichkeit Gundermanns schmälert sein Werk nicht, Werk und Künstler lassen sich nicht voneinander trennen, das eine hätte es ohne den anderen nie gegeben.« Thomas Meyer, zeitgeschichte-online.de,Potsdam
https://zeitgeschichte-online.de/film/gundermann-und-die-rueckeroberung-der-deutungshoheit
»Eine weitere Hauptrolle im Film spielt die Musik. Mit Gundermann-Songs unterlegte Szenen werden clipartig ineinander geschnitten und erzeugen einen fließenden Rhythmus. Darsteller Alexander Scheer stellt erneut seine Musikalität unter Beweis, er spielt und singt alle Lieder selbst. Deren Texte spiegeln die zerrissene Seelenlage der Ostdeutschen zur verworrenen Wendezeit wider. Wirklich zu Hause war der Künstler in keinem der beiden deutschen Systeme – eine Haltung, die viele Menschen im Osten Deutschlands teilen. Nicht zuletzt deshalb ist "Gundermann" auch ein Türöffner für jene Menschen, die das heutige Deutschland – fast 30 Jahre nach dem Mauerfall – verstehen wollen.«
Dörthe Gromes, kunstundfilm.de, Kassel/Berlin
»Gundermanns Lieder, die Alexander Scheer hervorragend interpretiert, sind im Film sehr präsent. Dresen versteht sich auch als Botschafter. Er verehrt den Sänger, mit dessen Songs er selbst auf Tour geht, die in den letzten Jahren auch verstärktes Interesse im Westen Deutschlands gefunden haben. Oft kontrastieren Alltäglichkeit und raumgreifende Weite miteinander. Die Verehrung für den amerikanischen Musiker Bruce Springsteen ist mitunter nicht zu überhören.«
Bernd Reinhardt, World Socialist Web Site wwws.org, Berlin