»Im georgischen Tanz gibt es keine Sexualität. Das ist kein Lambada«, ermahnt der Trainer seine Eleven. Die jungen Männer wissen, was sie leisten und worin sie sich fügen müssen, wollen sie einen festen Platz im Georgischen Nationalballett: Härte, Disziplin, Respekt und vor allem die Achtung gesellschaftlicher Werte und kultureller Traditionen. Merab ist vielleicht nicht das größte Talent, aber Fleiß und Ehrgeiz treiben ihn an. Er tanzt, seit er denken kann – außerdem ist er familiär vorbelastet. Auch die Eltern waren Tänzer, doch nach dem Tod der Mutter kam der Vater aus dem Tritt. Jetzt betreibt er mehr schlecht als recht einen Marktstand – und traut Merabs Bruder David künstlerisch mehr zu. Doch David ist ein Luftikus, der schnell mal die Regeln bricht und das Leben genießen will. Als er Irakli in die Akademie mitbringt, wird der Neue für Merab zum Rivalen. Ganz anders vom Typ, aber Gegensätze ziehen sich an. Flüchtige, scheue Blicke, die Anziehung und bald auch Begehren verraten. Berührungen, Küsse – eine Liebe, die in diesem Land keine Zukunft hat. Irakli entzieht sich, Merab erlebt nach dem Höhenflug den Absturz der Gefühle. Wird er die Kraft haben, im Tanz zu sich selbst zu finden und über sich hinauszuwachsen?
In Georgien tabubrechend, angefeindet, boykottiert: ein Film von emotionaler Tiefe, einfühlsam gespielt, mitreißend getanzt.
Fotos: Edition Salzgeber, Berlin
Als wir tanzten
და ჩვენ ვიცეკვეთ
Georgien/Schweden 2019 / Spielfilm / 113 Minuten / 9.-13. JahrgangsstufeInhalt
Themen
Außenseiter | Identität | Familie | Familien-, Geschwister- und Generationsbeziehungen | Selbstverwirklichung | Leistungsdruck | Gruppendruck | Tanz | Tradition | Homosexualität | Gender | Geschlechterrollen | Vorurteile | Toleranz | Empathie | Normativität | Diskriminierung | Menschenrechte | Menschenwürde | Gesellschaft | Heimat | Georgien
Fächer
Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde | Deutsch | Psychologie | Sozialkunde | Pädagogik | Sport
»Der 1979 in Schweden geborene Regisseur Levan Akin beschäftigt sich in ›Als wir tanzten‹ mit den Vorurteilen, den Glaubensschranken und Chancen der Jugend in Georgien, dem Land seiner Vorfahren. Von außen, jedoch mit Empathie blickend, öffnet er dem Publikum ungewöhnliche Perspektiven. So viel und mitreißend hier auch getanzt wird: Akin hat keinen Tanzfilm gedreht. Er erzählt eine traurige Geschichte aus der Gegenwart der Homophobie und von dem schweren Ringen um Freiheit.«
Cornelia Geißler, Berliner Zeitung
»›Als wir tanzten‹ schlägt einen klassischen narrativen Bogen, dessen Wendungen keine großen Überraschungen bereithalten. Mit dem selbstbewussten Irakli (Bachi Valishvili) erscheint ein Neuer in der Ballettakademie, es kommt zwischen Merab und Irakli zu Begegnung, Faszination, Annäherung, dann Verunsicherung, Drama und Verletzung. Zum Glücksfall macht den Film etwas anderes: Levan Gelbakhianis unbändige Energie beim Tanzen und die langen Szenen, die ihn durch den Raum wirbeln sehen, seine Blicke, die so viel mehr aussagen, als sie es wollen. Die Anziehungskraft zwischen Merab und seinem Gegenpart Irakli, die Leichtfüßigkeit der beiden Hauptdarsteller und das strahlende Licht.«
Lili Hering, indiekino.de, Berlin
»Regisseur Levan Akin erzählt die behutsame Annäherung der beiden Männer mit zärtlicher Sinnlichkeit, als Naturereignis, das wie selbstverständlich über zwei Verliebte gleichen Geschlechts hereinbricht. Wie in einer Blase, wie losgelöst von dem feindlichen Umfeld haben Levan und Irakli nur noch Blicke füreinander, obwohl die Nebenstränge der Filmhandlung eindringlich vor der Gefahr warnen. Doch die Körper der Liebenden haben dafür weder Augen noch Ohren. Sie tanzen miteinander, selbst wenn sie gerade nicht trainieren. Und immer dann, wenn auch noch Musik erklingt und die Körper sich in der Sprache des Tanzes ausdrücken dürfen, entlädt sich die Spannung in einem Furioso der Emotionen.«
Peter Gutting, cinetastic.de, Hamburg
»›Als wir tanzten‹ ist einer dieser stillen, leisen Filme, in denen vordergründig wenig passiert, in denen es aber unter der Oberfläche brodelt. Das Drama schildert die doppelte Emanzipation von Merab: Erstens von seiner Familie und seinen Lehrern, die ihm ihre starren, traditionellen Vorstellungen des Volkstanzes vermitteln wollen, bis er sich in der eindrucksvollen letzten Szene beim Casting regelrecht freitanzt. Zweitens befreit er sich von seinem homophoben Umfeld. Die Rivalität zum geheimnisvollen Neuen an der Tanzschule … weicht dem Begehren. Dieser Standard-Topos queeren Kinos wird von Gelbhakiani überzeugend gespielt: Scheues Lächeln und ängstliche Blicke wandeln sich langsam in selbstbewussteres Auftreten.«
Konrad Kögler, Das Kulturblog, Berlin
»Akin entwickelt die Liebesgeschichte zwischen den beiden Männern mit großer Geduld und ist zugleich, trotz aller Tanzeinlagen, um einen realistischen Rahmen seiner Geschichte bemüht. So erlebt man junge Leute, die von einem Leben in Europa träumen, zur Musik von ABBA oder Robyn ausgelassen feiern, aber gleichzeitig eingebunden sind in ein strenges, konservatives soziales Korsett, wo Heteronormativität mehr als einmal als Fluchtweg aus der Selbstverantwortung dient. Der Film plädiert dabei mit filmischen Mitteln überzeugend für einen Mix aus Liberalität und Respekt vor einer Tradition, so selbstbewusst und produktiv, dass individuelle Entwicklungsmöglichkeiten und Freiräume zugelassen werden können.«
Ulrich Kriest, filmdienst.de, Bonn
»Zugleich wirft der Film bei aller Sinnlichkeit auch einen scharf analysierenden Blick auf Männerbilder und Männlichkeitskonstruktionen in einer rigiden Gesellschaft und zeigt eine junge Generation, die sich im Zwiespalt zwischen den Überlieferungen (hier in Form des sehr speziellen georgischen Tanzes, der Elemente aus Ballett und Volkstanz auf sehr eigentümliche Weise zusammenbringt) und einem globalen Aufbruch in die Moderne äußert, zwischen konstruierter nationaler Identität und einem universellen Lebensgefühl. Es ist, das zeigt Als wir tanzten deutlich, ein Spagat, den es auszuhalten gilt. Oder man zerbricht daran.«
Joachim Kurz, kino-zeit.de, Mannheim
»Merabs und Iraklis Begegnung abseits der großen Feier atmet den Geist großer Melodramen. Und wie einst Douglas Sirk und später Rainer Werner Fassbinder arbeitet auch Levan Akin auf grandiose Weise mit Spiegeln, um die Wahrheiten der Herzen zu offenbaren. Die entscheidende Szene kommt ohne jeden Schnitt aus. Die beiden stehen sich einfach gegenüber, und zwei perfekt im Raum platzierte Spiegel verdoppeln sie jeweils. Während Merab und sein Spiegelbild Seite an Seite nebeneinander stehen, blickt Irakli die ganze Zeit in seine Reflektion. Beide haben sie zwei Leben, das, das sie ganz offen führen können, und das, das sie in der streng patriarchalischen, von der orthodoxen georgischen Kirche geprägten Gesellschaft verbergen müssen. Das Melodramatische ist in ›Als wir tanzten‹ das Politische.«
Sascha Westphal, sissymag.de, Berlin
»Merabs Bruder schmiegt sich auf seiner Hochzeit voller Bruderliebe an ihn: Er habe sich gerade gekloppt, weil andere behauptet hätten, Merab sei eine Schwuchtel. Ach, das stimme? Habe er sich umsonst geprügelt? ›Du musst weg hier, Merab.‹ In einer letzten Szene stürzt Merab zu Boden. Wie er sich dann wieder aufschwingt und mit welchem Selbstbewusstsein er die Tür schließt – das kann einem wahrlich das Herz massieren. In diesem Film ist Tanz nicht einfach Entertainment oder Dekor – sondern in ihm vermittelt sich sinnlich die Essenz einer Selbstfindung und -behauptung. Wir tanzen in einer politischen Welt.«
Stefan Hochgesand, sissymag.de, Berlin
»Die Uraufführung des Films in Tbilissi fand daher unter Polizeischutz statt; trotzdem kam es zu gewalttätigen Protesten. Am Premierenabend konnte der Film gezeigt werden, schon zwei Tage später wurde er allerdings wieder abgesetzt. Trotz des deprimierenden gesellschaftlichen Kontextes blitzt immer wieder auch Hoffnung auf Wandel auf: etwa, wenn Merabs konventionell gestrickter, eher mackerhafter Bruder eine unerwartete Entwicklung durchmacht. ›Als wir tanzten‹ ist mehr als ein klassisches Coming-of-Age-Drama; der Film zeigt eine Welt im Umbruch.«
Stephanie Grimm, kunst+film, Kassel
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