»Du musst es schaffen! Nie wieder kriegst du Keile!«, brüllt der Karate-Trainer einer jungen Frau aggressiv-aufputschend ins Gesicht. Nico unterzieht sich der Kampfsport-Tortur, weil sie sich wehren wird, sollte sie jemals wieder angegriffen werden. Wie an jenem Sommertag, der schön begonnen hatte. Mit ihrer Freundin Rosa war sie durch die Stadt gezogen. In einen Späti eingekehrt, dann im Park getanzt und gefeiert, bester Stimmung. Auf dem Nachhauseweg kommen Nico in einer Bahn-Unterführung drei Typen entgegen, zwei Männer und ein Mädchen. Erst provozierendes Geplänkel, dann dreschen sie Nico zusammen. Wahrscheinlich nur deshalb, weil die Deutsch-Iranerin anders aussieht als diese Bio-Deutschen. Schemen von Bildern, heulende Sirenen, alles schwarz. Rosa besucht die Freundin in der Klinik, sieht deren malträtiertes Gesicht. Ihre seelischen Wunden sieht sie nicht, bekommt sie aber bald zu spüren. Nico kappt die Kontakte, ist auch als fürsorgliche Altenpflegerin nicht mehr wie früher. Immer wieder erinnert sie jenen furchtbaren Moment: in ihrem Kopf eine Konfusion aus Tönen und Farben. Ihre Gefühle werden in eine andere Richtung gelenkt, als sie auf Ronny trifft, die aus Mazedonien kommt und sich hier, auf dem Rummel, etwas Geld verdient. An irgendeinem Ort scheinen sich die beiden schon mal begegnet zu sein. Ist Nico bereit und stark genug für einen neuen Anfang?
Mit Wut und Wucht, in Schmerz und Schönheit: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!
Fotos: Francy Fabritz / UCM ONE, Berlin
»Kurz: ›Nico‹ macht alles richtig, was heute oft abwertend als politisch korrekt bezeichnet wird, und beweist, dass dies nicht auf Kosten von Ästhetik, Narration, Spannung oder Humor gehen muss. Im Gegenteil erzählt dieses feine, packende Debüt eine mitreißende Geschichte von Freundschaft, Selbstermächtigung und Traumabewältigung, ohne Hollywood-Katharsis und jenseits von Klischees, aber doch mit einem Funken Hoffnung.«
Maxi Braun, epd film, Frankfurt/Main
»Unter der unbeschwerten Oberfläche erzählen die Filmemacherinnen aufmerksam von Generationenkonflikten, Alltagsrassismus und Traumabewältigung, manövrieren Nico jedoch vorbei an einem stereotypen Rührstück [...] Nicos Geschichte ist eben kein Märchen, sondern Realität. Gehring, Fazilat und Fabritz beleben ihre oft dogmatisch verfahrene Welt, indem sie diese dazu zwingen, sich immer neu arrangieren und flexibel zu bleiben. Rückschläge sind dann auch kein Scheitern, die Welt bleibt trotz allen Ernstes durchlässig für hoffnungsvollen Humor und Wohlwollen.«
Sofia Glasl, Süddeutsche Zeitung, München
»Sara Fazilats Spiel macht Nicos Wut und innere Kraft mit ihrer gleichzeitigen Verletzlichkeit spürbar, eine Dreidimensionalität wie wir sie in Filmen noch viel zu selten zu sehen bekommen. Während Nico im Kampfsport ihr Ventil findet, um das Erlebte zu verarbeiten und einen starken Selbstschutz aufzubauen, schreitet Rosa in den alltäglichen Situationen ein [...] Javeh Asefdjah schafft in ihrer Rolle als Rosa eine beeindruckende Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humorismus, der Text aus Konstantin Weckers im Abspann erklingenden Song ›Sage Nein!‹ passt dazu: ›Steh auf und misch dich ein‹.«
Bianca Jasmina Rauch, filmloewin.de, Berlin
»Immer wieder bricht der Film mit Stereotypen: Rosas Dealerin ist konservativ gekleidet, weiß und mittleren Alters; zwei Frauen mit Kopftuch unterhalten sich angeregt über Dildos. So wird das Bild einer selbstverständlich vielfältigen Gesellschaft entworfen, das sich auch gegen rechte Gruppierungen positioniert, die alle ausgrenzen, die ihnen fremd erscheinen. ›Nico‹ ist damit nicht zuletzt ein Aufruf, zu einem offeneren Zusammenleben beizutragen.
Hanna Schneider, filmdienst.de, Bonn
»Diversität im deutschen Film steht gerade als Imperativ in vielen Gesprächsrunden und Fördervorgaben. Die Bauchmuskeln der Branche sind, in Erwartung von Kritik und geäußerten Erfahrungen von Betroffenen, deren Realität endlich sichtbar werden soll, durchaus angespannt. Da trifft ein kleiner und entschiedener Film wie ›Nico‹ eine weiche Seite [...] Es sitzt einfach, wenn Fazilat und Asefdjah über das leidige Kopftuchthema improvisieren, während zwei Passantinnen in ihr auf türkisch geführtes Gespräch deutsche Wörter wie ›Dildo‹ fallen lassen; wenn eine der Seniorinnen sich als ›Kultimulti‹ bezeichnet oder Nico und Rosa immer wieder auf Farsi ihre weiße Umwelt kommentieren.«
Jan Künemund, Der Tagesspiegel, Berlin
»Fazilat, die selbst in Teheran geboren ist, will mit ihrer Firma [Third Culture Kids] Sehgewohnheiten ändern und Stereotype brechen, sagte sie in Interviews. Sie will Geschichten und Perspektiven erzählen, die bisher im deutschen Film kaum erzählt werden, und wenn, dann klischeehaft. Nico kehrt Stereotype um, etwa wenn eine sportliche Frau um die 50 mit blonder Föhnfrisur im Park mit Gras dealt. Was den Film aber wirklich auszeichnet, ist, wie selbstverständlich und beiläufig er divers erzählt. Dass eine Figur lesbisch ist, deutet ein Nebensatz an, wird aber nicht weiter thematisiert, ebenso wie kulturelle Hintergründe oder Körperbilder.«
Kathrin Hollmer, zeit-online.de, Hamburg
»Der Film driftet nie in eine der beiden Richtungen ab, die wir als langjährige Kinogänger:innen befürchten könnten. Weder nimmt das Melodramatische überhand, noch löst sich das Ganze locker-fluffig im Feelgood-Modus auf. Wenn Nico und Ronny in der Wohnung von Nicos freundlicher Patientin Brigitte sitzen und diese versichert, dass sie doch ›kulti-multi‹ sei, ist das schlichtweg bezaubernd. Und doch bleibt die Ahnung, dass nicht jeder Ort ein solcher ›Safe Space‹ ist wie die Wohnung von Brigitte.«
Andreas Köhnemann, kino-zeit.de, Mannheim
»Karatelehrer Andy wird von Andreas Marquardt gespielt, der seit geraumer Zeit eine eigene Sportschule in Berlin-Neukölln betreibt und der Öffentlichkeit durch seine von Rosa von Praunheim verfilmte Autobiografie ›Härte – Mein Weg aus dem Teufelskreis der Gewalt‹ bekannt wurde. Auch seine Besetzung trägt dazu bei, dass ›Nico‹ wie aus dem Leben gegriffen wirkt und gerade deswegen eine größere Wirkung entfalten kann als Filme, die einen mahnend-belehrenden Ton anschlagen.«
Arabella Wintermayr, taz, Berlin
»›Nico‹ ist stilistisch kein besonders ›dreckiger‹ Großstadtfilm. Überhaupt steht der Stil zurück hinter dem Spiel von Sara Fazilat als Nico, Javeh Asefdjah als ihre Freundin Rosa und Andreas Marquardt als authentischer Trainer Andy. Im glaubhaften, lebensnahen Auftreten liegt die Stärke des Ensembles und des Films.«
Günter H. Jekubzik, filmtabs,de, Aachen
»We see what we need to see, and nothing more. Whether it’s the seedy fair, the seniors’ home where Nico works or the bank of the Spree where she sits and chats with Ronny, these are authentic locations from which we get enough of a sense of place not to need any pyrotechnics. It would be quite easy to watch Nico and think ›What’s the point?‹ A woman goes through life, she gets a bit sad – traumatized even – but that doesn’t impact us much as an audience. There are no big car crashes, no loud scenes of catharsis. She just gets through life as best as she can. You might argue that we can get this at home and that we’ve come to the cinema to escape all this. You might argue that, but if you did you’d be a philistine who’s missed something special here.« Phil Butland, CinePhil
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