»Jeder hat immer eine Wahl«, sagte ihr die geliebte, lebenskluge Großmutter. Marjane ist acht, als der Schah aus dem Iran vertrieben wird und die Ayatollahs an die Macht kommen. Begeistert spielt das Mädchen mit Freunden das widersprüchliche politische Geschehen nach. Sie selbst sieht sich als Prophetin, die mit Gott in Kontakt steht. Fortschritt und Freiheit bleiben im Fortgang der »Islamischen Revolution« jedoch bald auf der Strecke. Tausende werden inhaftiert, Frauen sind wieder gezwungen, ihre Gesicht zu verhüllen. Die heranwachsende Marjane rebelliert, unterstützt von der resoluten Großmutter, gegen die Sanktionen. Heimlich hört sie Pop- und Punk-Musik. Als der Onkel von den neuen Machthabern hingerichtet und Teheran im Krieg gegen den Irak bombardiert wird, beschließen Marjanes Eltern, die Tochter auf eine Schule nach Wien zu schicken. Obwohl Außenseiterin, findet sie schnell Anschluss. Doch eine unglücklich endende Liebe stürzt sie in tiefe Depression. Sie gibt die Schule auf, verliert die Wohnung und lebt auf der Straße. Als sie nach schwerer Erkrankung in eine Klinik eingeliefert wird, beschließt sie, nach Teheran zurückzukehren und einen Neuanfang zu wagen. Mit 24 verlässt sie den Iran wieder in Richtung Paris. Diesmal ist es ein Abschied für immer.
Der Duft von Jasmin und das Aroma der Freiheit: Ein Film großer Sehnsucht und Liebe.
Fotos: Prokino Filmverleih, München / StudioCanal, Berlin
Der Comic
Marjane Satrapi: Persepolis.
Aus dem Französischen von Stephan Pörtner
Edition Moderne, Zürich. 1. Auflage: 2013, 7. Auflage: 2021
356 Seiten, s/w, Klappenbroschur, 25 Euro
ISBN 978-3-03731-210-0
Buchempfehlung zum Thema
Jasmin Taylor: Im Namen Gottes. Die Unterdrückung der Frauen im Iran. Mit einem Vorwort von Masih Alinejad. Europa Verlag, Zürich 2023
240 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 25 Euro, ISBN 978-3-95890-583-2
»›Persepolis‹ ist ein sehr persönlicher, stellenweise sarkastischer, bissiger und letztendlich todtrauriger Blick auf die iranische Geschichte, bei der in der Absurdität des Alltagslebens immer wieder lächerliche Momente aufblitzen. Der Film ist in seiner historischen Dimension und in seinen aktuellen Anspielungen aufklärerisch und regt zum Nachdenken darüber an, inwieweit der Westen aus Ölgier die Chance vertan hat, Entwicklungen vorzubeugen, die heute noch negativste Auswirkungen auf das Zusammenleben von West und Ost haben. Die Erzählung gibt Einblicke in das Leben in einer Diktatur, zeigt Erfahrungen auf, die man auch anhand anderer Diktaturen nachvollziehen kann, berichtet von den Millionen Toten, welche Diktatur und Krieg gefordert haben, und mündet in einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit, weil man wohl nur dann etwas an der Lage ändern könnte, wenn sich das Patriarchat der Mullahs einer Revolution der Frauen gegenüber sähe, der es auf Dauer nicht widerstehen könnte. Aber dafür sind die Chancen wohl (doch oder noch?) sehr gering.«
Wolfgang J. Fuchs, Kinder-Jugendfilm-Korrespondenz, München
»Trotz all dieser Bemerkungen ist ›Persepolis‹ keineswegs eine Geschichtslektion oder ein politisches Traktat. Voller menschlicher Wärme stehen vielmehr der Zusammenhalt der Familie und die zunehmenden Gefahren des Lebens im Gottesstaat im Zentrum. In bezaubernder Weise gelingt es dem Film dabei, die Perspektive eines Kindes in ihrer Mischung aus Naivität und Klarsicht zu reproduzieren. Immer wieder kommt es zu Momenten wie Marjanes Fantasiegesprächen mit Gott oder Karl Marx, die zunächst ›nur‹ witzig scheinen, plötzlich aber erschreckenden Ernst entfalten – und überaus kluge Einsichten vermitteln. — In ›Persepolis‹ siegt die individuelle Selbstbehauptung. Dies gilt doppelt, denn wenn Marjane in der zweiten Filmhälfte von ihren Eltern – um sie vor Repressionen der Mullahs zu schützen – ins österreichische Ausland wechselt, und dort zu Schule geht, ist sie neuen Anfechtungen ausgesetzt. Insofern ist Persepolis weniger ein Film über Heimatverlust, als über Freiheit, dessen einzige Moral lautet: ›Jeder hat immer eine Wahl‹.«
Rüdiger Suchsland, artechock.de, München
»›Persepolis‹, dessen Titel an den Glanz Persiens und dessen Untergang erinnert, an die von den Griechen ›Stadt der Perser‹ genannte, später zerstörte Residenz der Archämeniden, begegnet Glanz und Untergang der jüngeren iranischen Geschichte mit manchmal bitterer, niemals zynischer Komik. Der Film verweigert das gesamtpolitische Panorama, konzentriert sich auf den Alltag, die Charaktere [...] Auf dem iranischen Schwarzmarkt gibt es bald sicher auch Kopien von ›Persepolis‹ zu kaufen. Marjane Satrapi kann nicht zurück nach Hause. Aber Marji ist da.«
Julia Encke, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
»Es ist schon erstaunlich, wie viel unterschiedliche Grautöne und Schattierungen sich dem bewusst holzschnittartigen und naiv gehaltenen Stil abtrotzen lassen, in dem Satrapi ihr eigenes Leben nach dem Muster eines Entwicklungsromanes ins gezeichnete Bild setzt. Wie viel Tiefe sich in eine flächig gezeichnete Kulisse bringen lässt, wie viel Spannung im Spiel von Vorder- und Hintergründen liegt! Der deutsche expressionistische Film, seine exzentrisch mimenden Gestalten und alptraumhaft verzerrten Kulissen haben dabei ebenso Pate gestanden wie der italienische Neorealismus, der das Schicksal seiner Geschöpfe im dramatischen Wechsel aus individualisierten Nahen und gesellschaftsspiegelnden Totalen erzählte.«
Birgit Glombitza, Der Spiegel, Hamburg
»Der Film endet unvermittelt. Ohne Abspann. Aber mit der offiziellen iranischen Sicht, die urplötzlich mit harter Stimme aus den Lautsprechern schallt. ›Persepolis‹ sei kein isoliertes Machwerk. Der Film stehe in einer Reihe mit anderen antiiranischen und antiislamischen Projekten des Westens wie zum Beispiel ›Nicht ohne meine Tochter‹. Marjane Satrapi übertreffe diese sogar noch mit ihrer generell antireligiösen Haltung, wie in der Verhöhnung von Nonnen deutlich werde. Die Sachlage sei nur zu augenscheinlich: Der in Frankreich lebenden Autorin gehe es um die Verbreitung von kommunistischem Gedankengut, Anstiftung zu nichtehelichen Beziehungen, Aufwiegelung von Frauen zu übertriebenen Freiheitsforderungen. Als die Lichter wieder angehen, kehrt auch die Nüchternheit zurück in den Saal des Rasaneh-Kulturzentrums im Zentrum von Teheran, Ort der öffentlichen Vorführung von ›Persepolis‹ mit folgender Kritik. Dieser Donnerstag ist der zweite Abend. Zwei mal sechzig Personen, mehr Menschen dürfen den Film in der Islamischen Republik nicht zu Gesicht bekommen, wenn es nach dem Ministerium für Kultur und islamische Führung geht – der Schmuggelmarkt jedoch boomt.«
Simon Fuchs, Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Satrapis grafische Erzählung zeigt auf außergewöhnliche Art und Weise die familiären und persönlichen Herausforderungen, die die gesellschaftlichen Prozesse der iranischen Revolution mit sich brachten [...] Grafische Ausgestaltungen und Spielereien vermeidet Satrapi geschickt und bewahrt so den deprimierenden Eindruck eines innerlich wie äußerlich zerstörten Landes. Und dennoch oder vielleicht erst recht macht sie deutlich, dass es selbst in den dunkelsten Zeiten auch Momente des Stolzes, des Glücks und der Erfüllung gibt, weil es ohne diese Momente keine Kraft gäbe, diese Zeiten durchzustehen. Als Betrachter muss man nur bereit sein, sie zu sehen und wahrzunehmen. Dies hat gewiss nicht nur Marjane Satrapi getan, sondern auch Filmemacher wie Ashgar Farhadi, Jafar Panahi, Mohammad Rasoulof oder Mani Haghighi oder Autoren wie Mahmud Doulatabadi oder Amir Hassan Cheheltan. Marjane Satrapi aber ist die einzige, die dies auf so eindrucksvolle, bewegende und anrührende Art und Weise in Comicform getan hat. Dies ist nun ziemlich genau 20 Jahre her. Dass ihre Zeichnungen noch heute berühren, zeigt, wie universell und zeitlos ihre Geschichte ist, die nun in einer prächtigen Jubiläumsausgabe noch einmal in neuem Glanz erscheint.«
Thomas Hummitzsch, intellectures.de, Berlin (2021)