»Alle lieben Dokumentarfilme, doch niemand schaut sie. Zumindest nicht auf der großen Leinwand«, hieß es unlängst in einem Beitrag der »Süddeutschen Zeitung«. Der Autor machte auf den Widerspruch aufmerksam, dass allwöchentlich zwar verschiedenste Dokumentarfilme Premiere hätten, sich im regulären Kinoprogramm aber nur selten durchsetzten. Wir können diesen Befund nur bestätigen, leider. Gerade zu den SchulKinoWochen präsentieren wir jedes Jahr herausragende Dokumentarfilme mit nur geringer Resonanz. Dennoch lassen wir uns nicht entmutigen und werben hier für drei …
… aus dem aktuellen Programm. »No Land’s Song« (empf. ab 9. Klasse) bringt grandiose Stimmen zu Gehör, man könnte ihn einen der schönsten Musikfilme des letzten Jahrzehnts nennen, es ist aber primär ein höchst politischer Film. Er führt nach Teheran, zeigt das auch 2015 schon mutige Aufbegehren iranischer Frauen und die Absurdität autokratischer Herrschaftssysteme. Seit der Islamischen Revolution 1979 sind öffentliche Auftritte von Sängerinnen verboten, das Regime hat ein fundamentales Problem mit Frauen in der Musik. Jahrelang kämpft eine junge Komponistin darum, ein Konzert zu organisieren, doch die Hürden sind gewaltig. Sie gibt nicht auf – und ein Konzert findet statt: »Ich bin eine der furchtlosen Frauen«, singt die Tunesierin Emel Mathlouthi. Alle im Saal erheben sich für Standing ovations. Ein Triumph!
Um auch hier eine Verbindung zur Berlinale herzustellen: 2011 stand für den iranischen Regisseur Jafar Panahi ein leerer Stuhl auf der Bühne. Er war Mitglied der Jury, konnte aber nicht nach Berlin kommen, da ihn das Regime kurz zuvor zu sechs Jahren Haft und 20 Jahren Berufsverbot verurteilt hatte. Seit Juli 2022 saß der Regisseur wieder im berüchtigten Ewin-Gefängnis von Teheran, bezichtigt der »Propaganda gegen die Regierung«. Anfang Februar 2023 trat er in einen Hungerstreik, kurz darauf wurde er gegen Kaution freigelassen. Einen Dokumentarfilm über den Iran im Programm der SchulKinoWochen zu haben, ist ein kleines Zeichen der Solidarität.
An die Ostsee, auf die beliebteste Ferieninsel der Deutschen, führt »Wem gehört mein Dorf?« (empf. ab 9. Klasse). Göhren, im Südosten Rügens, ist mit einer wundervollen Lage gesegnet, umgeben von zwei Stränden und einem Biosphärenreservat. Aber seit langem schon wurde viel Betongold verbaut und dafür viel Natur geopfert. Ein aus dem Westen kommender Investor hat alles in seiner Hand. Doch einige Bürger:innen proben den Aufstand, die nächste Gemeinderatswahl soll eine Wende bringen. Der aus Göhren stammende Regisseur hat über mehrere Jahre hinweg, bis zur entscheidenden Abstimmung, dokumentiert, was den Ort auseinanderreißt und was ihn zusammenhält. Wir erleben die Mühen der demokratischen Ebene in einer dokumentarfilmischen Sternstunde!
Foto: Berlinale
In »The North Drift – Plastik in Strömen« (empf. ab 9. Klasse) stellt sich ein Dresdener Dokumentarfilmer eine kindlich-naive Frage, nachdem er am Strand des Nordpolarmeers eine deutsche Bierdose gefunden hatte: Würde eine Flaschenpost, die er mit GPS in die Elbe wirft, über 2.500 Kilometer hinweg letztlich an der Küste Nord-Norwegens stranden? Er gewinnt Freunde und Unterstützer – und aus der fixen Idee erwächst bald eine wissenschaftlich begleitete Forschungsexpedition. Einer der GPS-Drifter schafft es tatsächlich auf die Lofoten. Es gäbe Grund zur Freude über das gelungene Experiment, aber es ist ein trauriger Triumph. Es muss sich etwas ändern, wir müssen uns ändern!